Kein "Einzelfall". Rechtsradikale Realitäten in Deutschland

Bis Ende Juni veröffentlichen wir jede Woche einen neuen Film dokumentarischer oder fiktionaler Art, historisch oder aktuell, der sich mit diesem Thema auseinandersetzt. Die Vorführungen im virtuellen Kinosaal werden begleitet von Balkongesprächen mit Expert:innen. ZUM PROJEKT Am Tag nach den rassistischen Morden von Hanau trat die Kölner Oberbürgermeisterin vor die Kameras und drückt ihrem Amtskollegen in Hanau ihr Mitgefühl aus. Sie trug dabei eine karnevalistische Uniform, hinter ihr standen weiße Menschen mit Narrenkappen. Ein verdichtetes Symbolbild des #deutschlandproblems. Nach dieser „Gedenkminute“ begann in Deutschland der Karneval und parallel eine bewährte Betroffenheitsmechanik der Dominanzgesellschaft: Der rassistische Mörder wurde als psychisch kranker „Einzeltäter“ aus der Gesellschaft ausgeschlossen, die Tat als Anschlag „auf uns alle“ geframed und als unerhörter „Einzelfall“ in einer grundlegend nicht-rassistischen Realität verstanden. KEIN "EINZELFALL". RECHTSRADIKALE REALITÄTEN IN DEUTSCHLAND versteht sich als Beweisführung gegen die zur Farce geronnenen Sprachfigur vom „Einzelfall“, begangen von „Einzeltäter*innen“. Diese relativierende Phrase, die nach jedem neuen rassistisch, antisemitisch, antiziganistisch motiviertem Anschlag, jedem Mord aus rechten Motiven, jedem bekannt gewordenen Fall von Rassismus oder militanten rechtsradikalen Netzwerken inner- oder außerhalb staatlicher Institutionen zur Anwendung kommt. In der Ausstellung in den Kampnagel-Foyers und im Filmprogramm im Metropolis-Kino präsentieren sich visuelle Archive, die die „Einzelfall“-These widerlegen. Rechte Gewalt, rechtsradikale Strukturen und ein systemischer Rassismus sind weniger Hintergrundrauschen, vielmehr ein Dröhnen, das die gesamte Geschichte Deutschlands nach 1945 begleitet. Das gehört werden könnte. Das bis heute aktiv nicht gehört werden will. Doch auch wenn große Teile der Gesellschaft nicht sehen, hören, wahrnehmen und handeln wollen, existieren lange Traditionslinien und Netzwerke des Widerstands gegen die rechtsradikalen Realitäten in Deutschland. Betroffene, Überlebende und Angehörige der Opfer rechter Gewalt, diejenigen, die nicht ignorieren können, was ihre Sicherheit, ihr Leben und das ihrer Familien und Freund*innen tagtäglich bedroht, leisten Widerstand, benennen rechte Täter*innen und Strukturen. Seit Jahrzehnten. Auch für diese Realitäten in Deutschland gibt es visuelle Wissensbestände, die zu finden, zu zeigen sind. In Ausstellung und Filmprogramm sind einige davon zu sehen. Der Vielzahl an Perspektiven auf und Erfahrungen mit rechter Gewalt, unterschiedliche Widerstandstraditionen und Erinnerungspraktiken werden schließlich im digitalen Kongress Antifaschismus 2021: Komplexe Erinnerung – Komplexe Strategien – Multiperspektivische Praxis Räume des Austausches, der Vernetzung und der Konfrontation finden. Dass dieses Projekt in diesen unwägbaren Zeiten zu einem - hoffentlich weithin sichtbaren - Abschluss kommen konnte, ist weder Glück noch Zufall zuzuschreiben. Es ist das Ergebnis des grenzenlosen Einsatzes und der Solidarität einer Vielzahl an Mitstreiter*innen, Berater*innen und Kolleg*innen, innerhalb der beteiligten Institutionen, vor allem aber auch außerhalb. Nicht alle wollen oder können an dieser Stelle genannt werden, aber ihre Engagement und ihr Vertrauen in das, was wir gemeinsam entwickelt haben, bildet das Gerüst und die Struktur von KEIN "EINZELFALL". RECHTSRADIKALE REALITÄTEN IN DEUTSCHLAND. Stellvertretend für die vielen sei hier noch einmal von ganzem Herzen unseren Beirät*innen gedankt für das, zu dem sie dieses Projekt gemacht haben. (Jens Geiger, Kurator)